„Davids Steine“

Was wir von Paulus über Marketing lernen können…

Ende Juni wurde die Kirchenstatistik für das Jahr 2021 durch die Diözesen Deutschlands veröffentlicht. Und auch wenn in der ein oder anderen Pressemitteilung auf die gegenüber 2020 gestiegenen Zahlen bei Taufen und weiteren Kasualien hingewiesen wurde, so wissen zumindest die Leserinnen und Leser dieser Kolumne, dass der Vergleich mit dem Corona-Jahr 2020 hinkt. Die Zahl der Taufen ist gegenüber dem Jahr 2019 – dem letzten Jahr vor den pandemiebedingten Einschränkungen – nicht angestiegen. Zwar kann für das Jahr 2021 auf die teilweise geltenden Beschränkungen und auch die noch immer bestehende Zurückhaltung verwiesen werden. Nach meiner Meinung sollten die Kirchen allerdings überlegen, welche strategischen Entscheidungen, welche Innovationen erfolgversprechend auf die komplexe Situation des Relevanzverlustes und des Mitgliederrückgangs reagieren. Ein Vorbild kann der Missionar Paulus sein, der vor 2000 Jahren das Christentum in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsschichten (heute: Milieus) an vielen Orten und in verschiedenen Kulturen verankert hat. Vor dieser Herausforderung stehen die Kirchen heute erneut.

Aber muss denn im Titel dieser Kolumne unbedingt auch das Wort Marketing auftauchen? Diese Frage beantwortet die Kommunikations-Designerin Eva Jung, die auch die christliche Internetplattform godnews gestaltet und die Kartenserie „Godcards“ konzipiert hat, in ihrem Beitrag Marketing für Gott: Ein Plädoyer für ein verpöntes Wort. Ein von ihr zitierter Blog-Kommentar bringt das Unbehagen auf den Punkt: „Ich finde es im Prinzip auch gut und wichtig, was die Werbefrau Eva Jung da macht. Wenn das nur nicht diesen ‘Marketing’-Geschmack hätte. Es ist schon traurig, dass in unserer Gesellschaft anscheinend alles – selbst Gott – konsumentengerecht vermarktet werden muss, damit die Konsumenten sich dafür interessieren.“

Aus der Forschungsarbeit mit den Daten für die Freiburger Studie wissen wir, dass nur etwa 15 Prozent der Kirchenmitglieder knapp 80 Prozent des Kirchensteueraufkommens erbringen. Deren Kirchensteuer ermöglicht Angebote und Dienste der Kirchen, die vor allem denen zugutekommen, die aufgrund fehlenden oder geringen Einkommens keine Kirchensteuer leisten. Zu denken ist an Kinder, Alte, Kranke oder Menschen mit Behinderung. Darüber hinaus können Dank der Kirchensteuer auch subsidiär unterhaltene Einrichtungen wie Kindergärten, Ehe- und Familienberatungen, Telefonseelsorge sowie diakonische bzw. caritative Angebote finanziert werden, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen. Ob dies den 15 Prozent bewusst ist?

Die Arbeit in den Kirchengemeinden und insbesondere von Diakonie und Caritas ist weithin sichtbares Zeichen, wie der christliche Glaube und insbesondere individuelle Kirchenmitgliedschaft dabei helfen, das Leben in der Gegenwart zu bestehen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist leider bei diakonischen und caritativen Angeboten allzu oft nicht unmittelbar erkennbar, dass diese Teil der kirchlichen Arbeit sind. Man könnte auf die Idee kommen, überzeugende Persönlichkeiten mit regionaler und überregionaler Reichweite zu suchen, die für die Kirchen und ihr Engagement einstehen und die Sinnhaftigkeit des Solidarbeitrags Kirchensteuer bezeugen. Unter dem Stichwort Marketing machen Wirtschaftsunternehmen nichts anderes und nehmen dafür selbstverständlich die Dienste sogenannter Influencer in Anspruch.

Eine geöffnete Bibel liegt auf einem Laptop
Unterschiedliche Zielgruppen benötigen unterschiedliche Ansprachen.

Wie in meiner letzten Kolumne geschrieben, bietet besonders jungen Menschen die Kirchensteuer nach einer langen Phase der Kontaktlosigkeit Anlass zum Kirchenaustritt. Hier gilt es sowohl vor der ersten Kirchensteuerzahlung als auch beim Eintreffen des ersten Kirchensteuerbescheids flächendeckend proaktiv über die Kirchensteuer und deren Verwendung zu informieren. Menschen in einem Alter von Mitte bis Ende zwanzig brauchen – zum Glück – in den meisten Fällen keine Unterstützung durch kirchliche Beratungsstellen, haben (noch) keine Kinder oder pflegebedürftige Eltern. Die genannten kirchlichen Angebote sind daher vermutlich wenig attraktiv und in den meisten Fällen unbekannt. Und die klassischen Kommunikationskanäle laufen hier vermutlich ins Leere. Geistliche und andere kirchliche Mitarbeitende sind daher umso mehr aufgefordert bei Taufen, Kommunionen, Konfirmationen, Firmungen, Trauungen und Beerdigungen, in den kirchlichen Kindertagesstätten und Krankenhäusern sowie im Religionsunterricht und bei Schulgottesdiensten die Chance zur niederschwelligen Kontaktaufnahme zu ergreifen.

“Marketing is the activity, set of institutions, and processes for creating, communicating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers, clients, partners, and society at large.”

Nach dieser weiten Definition der American Marketing Association sind durch Marketing nicht nur die Interessen der Unternehmen, sondern sämtlicher Stakeholder, gar der gesamten Gesellschaft im Blick. Diese dialogorientierte Sichtweise auf die Beziehung zu seinen Zuhörern könnte auch Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther gehabt haben, als er schrieb: „Ich bin den Juden geworden wie ein Jude, um die Juden zu gewinnen …“. Mit den oft fehlerhaft zitierten Zeilen empfiehlt Paulus eine adressatengerechte Kommunikation. Er versetzt sich in seine Zuhörerschaft und sucht Anknüpfungspunkte in deren Lebens- und Denkwelt. Ich glaube, es bedarf keiner weiteren Erläuterungen, dass 28-jährige Männer anders angesprochen werden wollen und sollen als 55-jährige Frauen. Beiden gemein ist, dass sie – aus unterschiedlichen Gründen – überdurchschnittlich aus der Kirche austreten.

Eva Jung schließt ihren kurzen, aber umso smarteren Beitrag mit folgendem Absatz, den ich uneingeschränkt teile und ihnen zum Abschluss mit auf den Weg geben möchte: „Marketing ist nur ein Wort. Eins, das wir positiv oder negativ füllen können. Negativ, indem wir in den Menschen Begehrlichkeiten für Dinge wecken, die sie am Ende nicht befriedigen, sondern nur leer und arm machen. Positiv, indem wir mit klugen, professionellen und liebevollen Strategien die vielen leeren Angebote übertönen und die Menschen mit dem Gott bekannt machen, der echte, anhaltende Erfüllung schenkt.“