„Davids Steine“

Wie hältst du’s mit der Kirche?

In meinem letzten Beitrag „Die Caritaslegende“ hatte ich bereits einen kleinen Appetizer der Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) aufgenommen. Der offizielle Veröffentlichungstermin der viel beachteten Repräsentativbefragung war dann am 14. November 2023. Bereits seit 1972 führt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Abstand von jeweils zehn Jahren eine repräsentative Mitgliedschaftsbefragung durch, um Kirche aus Sicht ihrer Mitglieder und als institutionelle Größe zu erforschen. Durch die Beteiligung der katholischen Kirche an dieser Untersuchung ist es erstmals möglich, ein Abbild der gesamten deutschen Bevölkerung u.a. zu Einstellungen und Haltungen zur Kirchenmitgliedschaft auszuwerten.

Unter dem Link kmu.ekd.de hat die EKD eine umfassende Internetpräsenz eingerichtet. Dort kann nicht nur das knapp 100-seitige Dokument mit den ersten Ergebnissen der 6. KMU heruntergeladen werden, sondern daneben auch zahlreiche weiterführende Informationen, wie zum Beispiel Tabellen mit Grundauszählungen oder der Fragebogen. Wer sich die Mühe nicht machen möchte die 100 Seiten zu lesen, dem seien die „Perspektiven für das Handeln der Kirchen“ am Ende der jeweiligen Kapitel ans Herz gelegt. Diese sind durchaus streitbar und laden zur Diskussion ein, fokussieren aber auf die wichtigsten Ergebnisse.

Eine sehr gelungene Zusammenfassung der zentralen Befunde, die auch als Wegweiser durch den Band fungiert, findet sich gleich auf S. 13:

    • Die 6. KMU ist erstmals repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.
    • Nicht nur die Kirchenbindung geht deutlich zurück, sondern auch Religiosität.
    • Die Kirchen stehen vor multiplen Krisen und sehen sich großen Reformerwartungen ausgesetzt.
    • Katholische erwarten nichts anderes von ihrer Kirche als Evangelische, aber der Reformdruck auf die katholische Kirche ist größer.
    • Nicht den Anschluss an den kulturellen Wandel zu verlieren, für die jüngsten Generationen attraktiv zu bleiben und nicht nur gesellschaftlich Etablierte anzusprechen, sind zentrale Herausforderungen.
    • Die Kirchen spielen eine wichtige zivilgesellschaftliche Rolle und stärken die Demokratie.

Ich möchte zusätzlich auf drei Abbildungen hinweisen: Erstens die Großwetterlage der Religiosität auf Seite 19, die eine mögliche Typologie religiöser Orientierungen aufzeigt. Während nur noch 13 Prozent der Bevölkerung als „kirchlich-religiös“ eingeordnet werden können, haben mehr als die Hälfte der Befragten, das sind die „Säkularen“ (56 Prozent), kaum noch Bezüge zu Religiosität gleich welcher Art. Ein Viertel der Befragten ist dem Typ „Distanzierte“ zuzurechnen – dabei handelt es sich überwiegend um Kirchenmitglieder. Hier wird dann beispielsweise gezielte Mitgliederorientierung und -kommunikation empfohlen und hier schließt sich der Kreis dieser qualitativen Befragung zu den Handlungsoptionen aus der quantitativen Forschungsarbeit der sog. Freiburger Studie, die ich Ihnen in vorangegangenen Kolumnenbeiträgen bereits vorgestellt hatte.


Zweitens das Vertrauen in die Kirchen auf der Doppelseite 40/41. Im wissenschaftlichen Beirat habe ich mich – mit dem Zusatz „Vorsicht Ironie“ – bei den Herausgebern für diese Abbildung bedankt. Warum? Weil durch die schönen Bildchen und Wölkchen nur bei genauem Hinsehen deutlich wird, dass die Katholiken in Deutschland der evangelischen Kirche mehr vertrauen als ihrer eigenen Kirche! Aus der nicht abgebildeten Zeitreihe des Vertrauens in die Kirchen – die historischen Daten vor 2022 stammen aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) – geht deutlich hervor, dass dieser Vertrauensabbruch der Katholiken mit der Veröffentlichung der ersten Fälle sexualisierter Gewalt sowie dem Umgang der Diözesen damit einhergeht. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen ist eine riesige Herausforderung. Aufbauhilfe können dabei sicherlich die vielen wertvollen Angebote leisten, die ich unter dem Stichwort „gesellschaftlich relevant“ in den letzten drei Ausgaben von „Davids Steine“ umrissen hatte.


Drittens die Abbildungen auf den Seiten 48 bis 55, die ich unter der Überschrift „Reformerwartungen“ zusammenfasse. Wenn die Ergebnisse bis hierhin die eine oder den anderen nicht überrascht haben, dann lade ich Sie ein eine Einschätzung zu folgenden vier Thesen zu geben: „Die katholische Kirche sollte die Heirat von Priestern zulassen.“, „Die Kirchen sollten homosexuelle Partnerschaften segnen.“, „Evangelische und katholische Kirche sollten mehr zusammenarbeiten und nicht so sehr ihr eigenständiges Profil betonen.“ und „Die Führungspersonen der Kirchen sollten durch die Kirchenmitglieder demokratisch gewählt werden können.“ Die entsprechenden Antworten finden sich auf den Seiten 49 ff. Die überwältigende Mehrheit aller Katholischen, aber gesondert auch der religiösen Katholischen stimmt diesen Thesen (eher) zu. Die Autoren des vorliegenden Bandes schreiben daher auf Seite 65: „Deshalb dürften Widerstände auch gegen tiefgreifende Reformen wenig Chancen haben, wenn der Mehrheit das Wort gegeben wird. Auch eine vermutete Polarisierung zwischen religiösen und weniger religiösen Kirchenmitgliedern ist unwahrscheinlich, da die Reformerwartungen allseitig und weitgehend unabhängig von der religiösen Einstellung bestehen. Starke Reformerwartungen bedeuten auch: Es gibt in dieser Hinsicht keine Gleichgültigkeit. Das ist ein Pfund, mit dem Kirchen wuchern können und müssen.“ Dem ist von mir nichts hinzuzufügen.

In der Evangelischen Kirche wird seit dem Tag der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse um die Deutungshoheit heftig gerungen: Wer sich für die spannende Debatte in der evangelischen Theologie interessiert, dem seien zwei von mehreren Beiträgen auf zeitzeichen.de ans Herz gelegt. Bereits die Titel der Beiträge „Wie hältst du’s mit der Religiosität?“ und „Wie hältst du’s mit methodischer Sorgfalt?“ geben einen Einblick in die emotionale Debatte. Innerhalb der katholischen Kirche, die wie gesagt erstmals an der Befragung teilgenommen hat, waren die Kommentare – zumindest in der Öffentlichkeit – etwas zurückhaltender. Mitte Februar findet auf der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz ein Studienhalbtag zu den Ergebnissen der KMU statt. Außerdem am 23. April 2024 eine kostenfreie Tagung mit dem Titel „Vom festen Taufbund zur offenen Beziehung?“ statt, an der auch online teilgenommen werden kann.

Ich hoffe, ich konnte Sie zur weiteren Beschäftigung mit den ersten Ergebnissen anregen und auch einige weiterführende Impulse geben. Während ich den Beitrag schreibe, führe ich einen E-Mail-Schriftwechsel in dem es darum geht, wie die Ergebnisse auf die Gebiete der Landeskirchen und Diözesen regionalisiert werden können. Sie können also weitere „Steine“ erwarten, die ich Ihnen unter der Überschrift „KMU“ in den Garten werfen werde. Abschließend bereits die – aus dem Blickwinkel von Wirkungsorientierung und Qualitätsmanagement – erfreuliche Ankündigung, dass ein Teil der Ergebnisse auch auf einem ökumenischen Kirchenatlas digital zur Verfügung gestellt werden.